Wer am Freitagabend an der, Christuskirche in der
Oststadt vorbeiging, konnte sich über das auffällige Verhalten der Kirchturmuhr
nur wundern: Zunächst hält sie kurz inne, um dann die nächsten fünf Minuten um
so schneller zu absolvieren.
Grund ist die Aktivität einer kleinen Gesellschaft
unter der Kuppel. Der Kirchendiener Hans-Georg Heltmann begibt sich, wie immer
zur Zeitumstellung, in den weniger bekannten Teil der Kirche. Begleitet wird
er diesmal von Till Lottermann, einem Uhrmacher aus Seckenheim, und dem
Pfarrer der Kirche, Dr. Matthias Meyer
Über eine enge Wendeltreppe, vorbei an dem so
genannten Schrade-Stübchen, von dem aus der Baumeister Christian Schrade vor
Ort den Fortgang der Bauarbeiten anno dazumal kontrollierte, steigen sie hoch.
Schließlich führt eine Holztreppe zu einem geräumigen Dachboden
„Ne super Uhr", freut sich Lottermann beim
Anblick des Uhrwerks durch die Scheiben des übermannshohen Kastens. Und als
die Türen geöffnet werden: „Ein rechts Ührle", eine starke Untertreibung
angesichts der kräftigen Zahnräder und dem Schwungrad, das wie von
Zauberhand plötzlich ausschlägt. Schwer vorstellbar, wie diese Uhr einst durch
den engen Treppenaufgang hierher gelangte. Der Trick: Sie wurde erst hier oben
zusammengebaut. Sie ist eine der wenigen mechanisch funktionierenden Uhren,
die noch im Einsatz sind
„Leider sind viele dieser Uhren in den siebziger
Jahren durch elektrische' Anlagen ersetzt worden. Die meisten befinden sich
jetzt in Museen oder bei privaten Sammlern", bedauert Lottermann. Er
restaurierte in seiner Fortbildung zum „Restaurator im Handwerk" die Uhr
von St. Andreas in Neckarhausen, die im 18. Jahrhundert Kurfürst Carl Theodor
der Gemeinde gestiftet hatte. Lottermann fand die Zeugin der Vergangenheit im
Bauhof in Edingen, wo sie verschrottet werden sollte . „Nach der Restaurierung
wurde diskutiert, sie als Klettergerüst in einen Kindergarten zu
stellen", empört sich Lottermann. Jetzt kann die noch funktionierende Uhr
im Heimatmuseum der Gemeinde bewundert werden.
Die Uhr der Mannheimer Christuskirche hat noch viel
Zeit bis zur Rente. „Die läuft noch hundert Jahre, wenn sie gut gewartet
wird", stellt Lottermann fest. Zweimal im Jahr werden mehrere Stunden auf
die Pflege der „Innereien" des Turms verwandt, von den Glocken bis zur
Uhr. Dank eines elektrischen Motors hält sich die Zahl der Besuche ansonsten in
Grenzen. Ursprünglich musste man die Uhr an jedem zweiten .Tag aufziehen. Wie
bei einer Standuhr im Wohnzimmer zieht man dabei die Gewichte, die die Uhr
antreiben, hoch. Die Kurbel dazu liegt noch einsatzbereit im Turm neben der
Uhr.
Heltmann hält am Freitag die Uhr mit einem kurzen
Griff an das Pendel testweise an. Dann stellt er sie zur Demonstration fünf
Minuten vor. Nach einiger Zeit stößt er das Pendel wieder an. Ursprünglich
sollte die Uhr einen Tag stehen bleiben, bis Heltmann sich nochmals auf den Weg
machte, diesmal eine Stunde später als am Vortag. Gestern Abend wurde jedoch
ein großes Konzert in der Kirche gegeben:-„Die Leute könnten sich fragen, ob da
etwas nicht in Ordnung ist, wenn die Uhr steht", meinte Pfarrer Meyer.
Deshalb hat Heltmann die Uhr erst gestern Abend gestoppt und nach einer Stunde
wieder in Gang gesetzt. Bis in die Nacht war sie ihrer Zeit voraus, bis
schließlich alle öffentlichen Uhren das Signal zur Zeitumstellung bekamen.
Wenn die Oststädter heute nach einer Nacht mit einer
Extra-Mütze Schlaf aufwachen, ticken sämtliche Uhren wieder richtig. Nur an
Küchenuhren und ähnliche Zeitmesser muss man selbst denken, sonst kommt man
womöglich am Montag eine Stunde zu früh zur Arbeit...
Mannheimer Morgen
Saskia Heinen

|