Lottermann & Söhne
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Kein Stäubchen aufs Schräubchen

Sie tickt ganz richtig! Die allererste selbst zusammengebaute Armbanduhr
 lässt nur das Bastlerherz schneller schlagen

Neidisch? Ich? Ach wo. Das liegt doch nur an der Brille. Vergessen. Kann halt mal vorkommen. Hätte ich sie dabei gehabt, wäre ich jetzt auch schon beim Polieren. Oder beim Montieren vielleicht, wie die anderen alle. Die sind eben schneller - Moment, ich schau mal: Ja, die sind sogar fast fertig. Jetzt nur ruhig bleiben, gelassen, und das mit der Schraube ist auch nicht so schlimm, hat Till gesagt. Schließlich fieselt unsereins nicht jeden Tag seine erste selbstgebaute Uhr zusammen.

Samstagvormittag, 10 Uhr, Theorie­Stunde: Im kleinen Seckenheimer Handarbeitsmuseum seiner Mutter, wo zwischen ordentlich aufgereihten Fingerhüten und sauber drapierten Stickvorlagen acht hüfthohe Werktische stehen, zerlegt Till Lottermann Wort für Wort das Werk der MSL 02: Ein russisches Taschenuhr-Kaliber

18000 Halbschwingungen pro Stunde, Handaufzug, Ankerhemmung, „robust und zuverlässig", preist unser Seminarleiter das kollektive Konstruktionsgeschick sowjetischer „Helden der Arbeit". Und findet einen Vergleich, der die anfängliche Skepsis seiner Zuhörer zu zerstreuen vermag: „Wie die MIR." Man lächelt sich kurz zu in der Runde, bleibt aber ansonsten konzentriert und ernst. Einer heißt sogar so. Ein Schweizer, er leitet in St. Gallen ein Unternehmen, das Präzision„,;-Messinstrumente herstellt. „Das isckA nicht meini ärsc,hdi Sälbschdg'machdi", sagt er mir später, als man sich beim Kaffee gegenseitig seine Armbanduhren zeigt. Er bringt sogar sein eigenes Werkzeug mit hierher, in einer Art Pilotenkoffer, sehr professionell.

Was für Finessen; Redakteur und Uhrenamateur Scholl beim Übderdrehen einer Schraube
(oben), sein Kunswerk (im Text);
Meister Till Lottermann (links, 2. von oben) und mit Kursteilnehmern (unten), darüber der zur Faust geballte Stolt der Bastler, Bilder: Henne (5); Prosswitz

Auch meine anderen sechs Uhrenbastler­Kollegen, die den Kurs bei Till Lottermann, seinem Partner Franz Wolff und dem Mannheimer Uhrenfan Thomas Henne gebucht haben, erweisen sich rein theoretisch als echte Durchblieker und Richtig-Ticker. Hemmungen, Spannungen, Triebe - nichts Mechanisches scheint ihnen fremd. Den Part des Laien muss dann wohl oder übel ich übernehmen, eine Rolle, die ich mit einem - zugegeben, leicht kindischen - Witzchen auflockern will. Mein „man glaubt ja gar nicht, was da alles an Schräubchen, Rädchen und Federchen rein passt in so `ne kleine Uhr", erntet indes nur mitleidiges Lächeln - oder Blicke, die mir das Gefühl vermitteln, ich müsse mir nun sofort und unbedingt den Mund mit Seife auswaschen.

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Uhrmacher sind feinfühlige und geduldige Menschen

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Sei's drum, nach anderthalb Stunden, in denen wir uns mit den Innereien der Zeitmessung beschäftigen, kann sogar ich mitreden. Uhrmacher sind geduldige und feinfühlige Menschen. Till und Franz schauen jedes Mal, wenn sie Fragen wie„ So, habt ihr's alle verstanden?" stellen, besonders lange und intensiv in meine Richtung. Ich nicke - und das ist fast gär nicht geschwindelt.

Nach dem Mittagessen dann die Stunden der Wahrheit: Till legt unsere Uhren auf den Tisch: „Eure Namen auf dem Zifferblatt müsst Ihr euch aber erst verdienen:" Zweimal sollen wir bis morgen Abend jedes einzelne Teil - und so eine Uhr hat, wie bereits gescherzt,, davon unglaublich viele - aus- und wie­der einbauen. „Dazwischen veredeln wir das Werk - Genfer Streifen, eine Feinvergoldung für Federhaus- und ,Räderwerksbrücke und gebläute oder schwarz geschliffene Schrauben." Durch den Sichtboden wird dann später jeder unsere uhrmacherische Kunstfertigkeit bewundern - und wir können ganz dezent angeben: „Och, das ... sowas mach ich immer selber."

Also ran an den Werkzeug-Satz, alles mal befummeln, und los. Ich sitze neben Horst, einem Braumeister aus der Duisburger Gegend. Wir helfen uns, so gut er kann. Zum ersten Mal in meinem Leben zerlege ich eine Uhr und kann sogar hoffen, hinterher nicht noch ein paar Teile übrig zu haben, wie bei meinen Rasenmäher-Reparaturen. „Hast du das mit dem Abspannen der Feder begriffen?", frage ich den Bier-Experten. Er zeigt mir den Trick mit dem

Ausklinken des Gesperrs, und „Rrrrt" surrt sich die Mechanik in Ruhelage. Nach der anfänglichen Nervosität beim Anblick von Fliegendreckkleinen Schrauben und dem Herumkriechen auf dem Boden auf der Suche nach denselben, geben erste Erfolge Sicherheit. Ankerkloben, Hemmungsrad, Anker - . alles alleine geschafft. Am Ende des ersten Seminartags, als wir uns bei einem Glas Bier gegenseitig auf die Schulter klopfen, tickt meine Uhr tatsächlich wieder.

Der nächste Morgen, der Kaffee, die Suche nach Erklärungen: Warum machen Männer sowas? Warum sitzen wir stundenlang auf unbequemen Uhrmacher-Hockern an unbequemen Uhrmachertischen und arbeiten hochkonzentriert und ohne Bezahlung, bis uns die Finger zittern? Ich für meinen Teil glaube ja, es hängt irgendwie mit diesem Märklin-Baukasten zusammen, den ich mir mit neun oder zehn sogar noch sehnlicher gewünscht habe als das Bonanza-Rad mit Bananensattel. : Beides habe ich nie bekommen. Ob meine Mit-Bastler einst ebenso vergeblich auf ihre Baukästen hofften, erfahre ich nicht. Sie verschließen sich derart psychoanalytischen Deutungsansätzen und sagen dafür Sätze wie Uwe, der Immobilienhändler aus dem Westfälischen: „Die Liebe zum Mechanischen, die Möglichkeit, von Till und Franz in die Geheimnisse der Uhrmacherkunst eingeführt zu werden, Dinge zu lernen, die die Meister sonst nie preisgeben", das habe ihn hierher geführt. Und dann nicken alle noch mal andächtig, bevor wir mit der Feinveredelung beginnen:

„Sanft", sagt Franz, „ganz langsam drehen, ganz sachte andrücken", schließlich seien das Genfer Streifen und keine Riefen-Profile in Straßenbahnschienen. Fast zärtlich senkt sich der Schleifkopf auf die Brücken, ein wunderbares Muster, und er muss mir

kaum helfen„dabei. „Gut gemacht", würdigt Till die Ergebnisse unserer Co-Produktion. Nach so viel Aufmunterung beschließe ich in einem Anfall von Übermut, meine Schrauben nach alter Glashütter Tradition nicht zu bläuen, sondern schwarz zu schleifen. Diese feinste Art der Dekoration ist, wie alle Veredelungsarbeiten, technisch ganz und gar nutzlos - doch Uhrenfreunde können sich daran nicht satt sehen.

Nach vier Stunden, in denen wir die Brücken kurz ins galvanische Gold-Bad gesenkt, sie geschliffen, geschrubbt und geschraubt haben, streifen wir uns die wurstpellenartigen Fingerlinge über. Kein Stäubchen darf jetzt mehr aufs Schräubchen, jeder winzige Ausrutscher mit dem Werkzeug hinterlässt bleibende Eindrücke, und wer seine blitzsaubere Schönheit mit fettigen Pfoten angrabscht, muss für alle Zeit mit dieser Art von „Digital"-Uhr leben. Ich drehe noch kurz einer Werkhalteschraube den Kragen ab. „Wie hast du das denn geschafft?", fragt Till, und ich wage einen verzweifelten Scherz: „Pass auf, ich zeig's dir, das ist ganz einfach." Alle lachen. Aber nur, bis Till meine Uhr als letzte - Sie wissen schon: wegen der Brille - auf die Zeitwaage legt. „Deine geht am genauesten", mittlere Gangabweichungen, die den Vergleich mit Olivers Protz-Rolex standhalten. Nur, dass meine Uhr viel schöner ist. ,

Findet übrigens auch meine Frau. „Sieht gut aus", sagt sie, als ich ihr mein „Meisterwerk" voller Stolz von allen Seiten vorführe: „Schau nur Schatz: die Roger Scholl Nummer Eins`, meine allererste Selbstgebaute." Als sie diese drei letzten Worte hört, guckt sie für einen Augenblick so, als wolle sie mir zu Weihnachten einen Märklin-Baukasten schenken.

Mannheimer Morgen
Roger Scholl

Lottermann & Söhne  •  Seckenheimer Hauptstraße 128  •  68239 Mannheim
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