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Fliegende Tourbillons und
Erdbeerkuchen
Laien, Freaks und Profis basteln ein Wochenende lang
ihr persönliches Kunstwerk in der Uhrmacherwerkstatt Von unserer Redakteurin Tatjana Stegmann
Jetzt bloß noch die Unruh einsetzen, das Uhrwerk ins Gehäuse legen, die
letzten Schräubchen, jedes etwas so groß wie ein Stecknadelkopf, rein und die
Aufzugswelle einschieben. Die Stille der Werkstatt wird nur gestört von einem
dezenten Glockenton aus einer alten Wanduhr, sonst herrscht gespanntes
Schweigen. Absolute Konzentration ist nötig: Jetzt bloß nicht zum Schluss noch
mit dem Schraubendreherchen abrutschen und die mühsam geschliffenen und
vergoldeten Brücken des Uhrwerks mit hässlichen Kratzern verunzieren. Fast ist
sie fertig - und sie tickt tatsächlich richtig! Noch vor drei Tagen schien es
mir völlig unvorstellbar, dass eine Uhr bestehend aus nicht weniger aus 48
Einzelteilen, von einem Laien wie mir erst zerlegt, dann gereinigt und wieder
zusammengesetzt werden sollte - und vor allem, dass am Ende die Unruhe wie von
Geisterhand getrieben anlaufen würde. Ganz zu schweigen davon, dass die
Veredelung winzigster Einzelteile mit feinsten Schliffen und Vergoldungen
gelingen könnte. |
Unscheinbar, beinahe übersehbar,
so hängt das Uhrmacherschild an einer historischen Fassade. Stumm weist es den
Weg in der Hauptstraße des Mannheimer Stadtteils Seckenheim hin zu einem kleinen
Laden, einem Antiquitätengeschäft, in dessen Schaufenster vier Stühle aus einer
anderen Zeit (sich scheinbar ihres Wertes bewusst) geduldig auf neue Besitzer
warten. Hier also soll das Uhrenseminar der Firma Lottermann und Söhne
stattfinden. Bestimmt werden nur echte Uhrenfreaks, eingeschworene Sammler und
Bastler, das Seminar besuchen. Plötzlich taucht es wieder auf in meiner
Vorstellung, der Hofuhrmacher Christian Elias Drosselmeier, der geheimnisvoll
verschrobene Mensch aus E.T.A. Hofmanns Erzählung "Nussknacker und Mausekönig",
und auch all die anderen Klischees, die sich über das Uhrmacherhandwerk und die
Menschen, die es ausüben, im Unterbewusstsein festgesetzt haben, sind plötzlich
wieder präsent. Die Glastür zum Laden ist verschlossen an diesem
Samstagmorgen, das weit geöffnete Hoftor daneben lädt aber zum Eintreten ein. An
einem Holztisch sitzen vier Männer, fröhlich erzählend, aber zumindest drei
davon mit einem erwartungsvollen Funkeln in den Augen. Ralf Lottermann,
Tischlermeister und Restaurator, hat die ersten Seminarteilnehmer mit einem
Kaffee schon mal willkommen geheißen, greift seinem Bruder Till, dem Uhrmacher,
aber nichts voraus, verrät nicht zuviel von dem, was in den nächsten Stunden
passieren wird. Soviel lässt sich dem Gespräch aber leicht entnehmen: Die drei
anderen Männer mittleren Alters am Tisch tun sich nicht schwer mit
Fachsimpeleien. "Chronometer" hier "Pendulen" da, ETA-Werk" und "Finissage"
dort. In meinem Schädel schwirren Begriffe und so langsam weicht die
erwartungsvolle Gelassenheit nun doch aufsteigenden Bedenken, ob meine
feinmotorischen Fähigkeiten und mein im Redaktionsalltag eher verkümmertes
naturwissenschaftlich-technisches Verständnis wohl ausreichen werden, um in den
kommenden zwei Tagen Schritt halten zu können.
Nicht lange haben die Zweifel
Zeit, die Handflächen feucht und die Finger zittrig werden zu lassen: Till
Lottermann taucht auf, und kurz darauf geht es die Treppe einer alten Scheune
hinauf, ehrfurchtsvoll vorbei an einer reich verzierten, etwa zwei Meter hohen
hölzernen Uhr, hinein in die Werkstatt. Zehn Tische, deren Arbeitsplatte einem
Sitzenden knapp zur Schulter reichen, füllen den eher schummrigen Raum zu einem
Drittel, darauf Schreibtischlampen, allerlei Werkzeug. Nur Armbanduhren sind
noch nicht zu entdecken... Geduld - wesentliche Voraussetzung zum Uhrenbau -
üben die neugierigen Seminarteilnehmer so ganz nebenbei. Denn bevor es mit der
Schrauberei losgehen kann, muss ein bisschen Theorie schon sein. Die
Vorstellungsrunde - alle sind gleich per Du - macht die Hoffnung auf einen noch
weniger qualifizierten Laien völlig zunichte: Wolfgang aus Mutterstadt ist
passionierter Uhrenfan, Fouad aus Darmstadt Zahntechniker und Maschinenbauer,
Ulrich aus Alzenau Ingenieur und Willi aus Weinheim Uhrmacher (er hat die
Teilnahme an dem Kurs bei einer Messe gewonnen).
Schnell wirft moderne Powerpoint-Technik übersichtliche technische
Zeichnungen an die alte Scheunenwand, und allmählich lüftet sich auch mir das
Geheimnis einer mechanischen Uhr, nachdem der Uhrmachermeister und sein Kollege,
Franz Wolff, betont haben, dass es ihnen ganz besonders darum geht, auch
Hobbybastlern und interessierten Laien einen Einblick in ihr jahrhundertealtes
Handwerk zu gewähren und somit deren Blick für Qualität zu schulen - der
Geschäftsmann denkt voraus. |
Richtig ernst wird es kurz
darauf, als die beiden Uhrmachermeister ihren Gästen die Uhren austeilen: jedem
die eigene, leicht zu erkennen am versilberten, im Licht changierenden
Zifferblatt, auf das in eleganten Lettern der jeweilige Name gedruckt ist.
"Nehmt jetzt bitte mal die Lünette ab" Lünette? Der Begriff taucht eben doch
nicht im theoretischen Vortrag auf, was in aller Welt soll das sein?. Die
schüchterne Zwischenfrage quittieren die anderen Seminarteilnehmer mit einem
wohlwollenden, kein bisschen überheblichen Lächeln, und der Meister merkt
schnell, dass es solche und solche Laien gibt. Macht aber nichts, Begriffe sind
schnell geklärt, das Abdeckglas überm Zifferblatt zügig abgeschraubt - am Ende
zählt schließlich nur noch, wem die Feinmotorik die wenigsten Streiche
spielt.... "Wir geben erst mal an die Zeitwaage". Zeit wiegen? Der
physikalisch absurde Begriff bezeichnet nichts anderes als ein Gerät, das die
akustischen Äußerungen des Uhrwerkes auf einen Streifen Papier bannt. Mit Hilfe
seiner Aufzeichnung kann man die Ganggenauigkeit der Uhr in diversen Positionen
kontrollieren. Das aus Russland stammende Molnja-Uhrwerk, das Lottermann und
Wolff eigens wegen seiner besonderen Eigenschaften (Übersichtlichkeit und
Robustheit) ausgesucht haben, läuft wie am Schnürchen und bringt ein sehr gutes
Ergebnis. "ich garantiere euch, dass es nach dem Reinigen und Veredeln morgen
mindestens genau so exakt gehen wird "Till Lottermanns Versprechen erntet
fünffaches Stirnrunzeln.
Unsicher, einen Trick zu vorsichtig,
wagt sich mein Schraubenzieher an die Schräubchen, die das Uhrwerk im
Edelgehäuse halten - es sind die beiden größten Schrauben im Werk... Von Mal
zu Mal findet der Schraubenzieher besser seinen Weg, nur die wie ein Zwicker
vors Auge geklemmte Lupe will einfach nicht dort bleiben, wo sie hingehört. Die
Messingpinzette greift Rädchen und Befestigungsbrücken, Federn und Kolben -
Lottermanns ruhige Stimme im Hintergrund führt Regie. Am Ende liegen unter einer
Art Käseglocke 48 Einzelteile eines winziger als das andere, und kein einziges
scheint verloren gegangen zu sein. "So jetzt baut ihr alles in der
umgekehrten Reihenfolge wieder ein," Na denn, Aufwärmtraining Teil zwei, aber
wie war noch die Reihenfolge genau?. Wider Erwarten ist das Rohwerk binneneiner
Viertelstunde wieder in seinem Ursprungszustand, und vor einer kleinen Pause
sammeln sich die staunenden Seminarteilnehmer um eine schlichte Tischuhr mit
Glasgehäuse. Schön anzusehen ist sie schon, aber das sind die anderen Uhren,
die im Atelier hängen und stehen, eigentlich auch. Irgendetwas scheint sie zu
etwas Besonderem zu machen. Ehrfürchtig fällt das Wort "Tourbillon", "fliegend"
zudem, ein "Luftwirbel" oder "Strudel" also, wenn die Französisch-Kenntnuisse
nicht versagen. Aber was in aller Welt macht ein fliegender Strudel in einer
Uhr? Lottermann erklärt: Vor etwa 200 Jahren erfand abraham-Louis Breguet dieses
besondere Form der so genannten Hemmung (die Hemmung reguliert zusammen mit der
Unruh den zeitgerechten Lauf der Uhr). Und ein Tourbillon stellt in seiner
Fertigung Uhrmacher ganz offensichtlich vor schier unermessliche Schwierigkeiten
und bleibt wegen seiner Komplexität eine echte Rarität. Aber Lottermann setzt
noch eins drauf: Aus einer rotbraunen Holzschatulle strahlt in perfekter
Ästhetik eine goldene Armbanduhr: Gerade hat er sie fertig bekommen, nachdem er
allein für das winzige Tourbillon im Innern der Kostbarkeit 900 Arbeitsstunden
aufgewendet hat. Fasziniert und fast schweigend geht´s die Treppen der alten
Tabakscheune hinunter, wo in einem gemütlichen Raum den optischen Genüssen der
Uhrmacherzunft die kulinarischen in Form eines frischen Erdbeerkuchens folgen.
Gelöst plaudern die Uhrenbastler über ihre ersten Eindrücke in lockerer,
freundlicher Atmosphäre. Sprach mal jemand über Uhrenfans von verschrobenen,
einzelgängerischen Kauzen, die verbissen mit zusammengekniffenen Augen an
Mechaniken herumfieseln
Handwerkliches Geschick und
Fingerspitzengefühl ist keine halbe Stunde später wieder gefragt, denn zurück im
Atelier sollen die Brücken des Uhrwerks auf einer Glasplatte mittels einer
Schleifpaste aus Pulver und Öl exakt plan geschliffen werden. Das geht nur, wenn
man auch wirklich gleichmäßigen Druck ausübt. Bald glänzen die Stücke um die
Wette. Kaum ist der Schleifdreck herunter gewaschen, wartet bereits der nächste
Arbeitsgang: Das Los wies meiner Uhr die Seriennummer 130 zu. Die wiederum muss
mit einer Maschine eingraviert werden. Damit der Feinheiten aber noch nicht
genug: Mit Hilfe einer eigens konstruierten Schleifvorrichtung werden die
Brücken noch mit so genannten Genfer Streifen verziert, damit die anschließende
Vergoldung per Elektrolyse richtig zu Geltung kommt. Weiter mit den Finessen:
Die zwar vom Hersteller schon vorgebläuten Schrauben genügen den Ansprüchen der
Uhrmachermeister nicht. Also: Schleiföl anrühren und runter mit der obersten
Schicht, mit Diamantpaste noch penibel polieren und per Heißluftpistole neu
bläuen. Die Oxidation des heißen Stahls hat ihre ganz eigene Geschwindigkeit:
Schrittweise verfärben sich die Schrauben von violett bis
kornblumenblau. Schon fast routiniert fügen die Finger - zum Schutz der
veredelten Teile sicher versteckt in Latex-Fingerlingen - noch ein einziges Mal
die Einzelteile zusammen: Aufzug samt Federgehäuse und Kupplungsrädchen,
Minuten- und Sekundenrad, Hemmung und die Unruh mit der hauchdünnen Feder -
alles gelagert in winzigen perfekt geschliffenen Rubinen. Am Ende liegt auf dem
Uhrmachertisch ein persönliches Kunstwerk, dessen pekuniärer Wert sich innerhalb
der vergangenen beiden Tage mehr als verdoppelt hat, dessen ideeller Wert jedoch
mit keiner von Menschen konstruierten Waage messbar ist. (Fotos: Kunz (2) /
Thiele (1))
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