Uhren auf der Zeitwaage:
 

Fesselnde Faszination feinster Mechaniken

 

designelementWAS BRINGT  DIE UHR ZUM  LAUFEN?

Geheimnissvoll scheinen Uhren, ihre Faszination geht vor allem von ihrer komplizierten Mechanik aus, die kaum ein Laie durchschaut. Schon seit ihrer Erfindung bestaunen Menschen die technischen Meisterwerke und fragen sich: "Wie kann eine Uhr die Zeit so genau mes- sen?" Wie also funk- tioniert eine Uhr?
Generell gibt es unter- schiedliche Grundmodelle, doch am beeindruck- endsten sind sicher die  mechanischen Uhrwerke, die seit Jahrhunderten im Wesentlichen nach dem gleichen Prinzip funktion- ieren: Über das Rädchen, das aus dem Gehäuse ragt, wird mittels einer Aufzugswelle eine Spiral- feder aus Stahl im Inn- eren der Uhr gespannt. Sie speichert die Kraft, die nötig ist, um das Räderwerk der Uhr und damit die Zeiger anzu- treiben.
Damit sich die Feder nicht in einem Rutsch ent- spannt und die Zeiger binnen Sekunden übers Ziffernblatt rasen, muss sie gebremst werden und in einem geregelten Gang ablaufen. Dafür ist die so genannte Hemmung in- klusive der Unruh zu- ständig - auch Gangregler genannt. Die Unruh be- steht hauptsächlich aus einem Schwungrad und einer haarfeinen Spiral- feder aus Draht, die (ent- sprechend ihrer spezi- fischen Länge und Dicke) in einer bestemmten Frequenz schwingt. Im Fall der so genannten Ankerhemmung bewegen sie ein ankerförmiges Metallteilchen hin und her, das wiederum mit einem der Zeit anzeigen- den und von der Aufzugs- feder angetriebenene Rädchen korrespondiert: Bei jedem "Tick", hält es das Rädchen kurz an und lässt es sich erst beim nächsten "Tack" wieder ein klar definiertes Stück weiterdrehen. (tst)

 

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KLEINES UHREN-ABC

Bläuen: Als Bläuen wird die kontrollierte Oxidation von Stahlschrauben und anderen Stahlteilen (wie zum Beispiel auch Zeiger) bezeichnet. Dazu werden polierte Teile langsam erhitzt, bis der Stahl sich aufgrund der chemischen Reaktion mit dem Luftsauerstoff erst violett, dann kornblumen- blau verfärbt.

 

Ewiger Kalender: Als "Ewi- gen Kalender" bezeichnet man die Kalenderanzeige einer mechanischen Uhr, die das Datum, den Wochentag, die Monate und die Mond- phasen automatisch richtig anzeigt, also unterschied- liche Monatslängen und Schaltjahre berücksichtigt.

 

Finissage: So nennt man das abschließende Veredeln einer Uhr, bei dem einzelne Teile durch Schliffe, Gravuren, Vergoldungen oder Bläuun- gen herausgeputzt werden.

 

Lünette: Als Lünette bezeichnet man den oberen Gehäuseteil einer Uhr samt Uhrglas und Dichtung.

 

Minutenrad: Das Menutenrad gehört zum Räderwerk der Uhr und macht genau eine Umdrehung pro Stunde. Es trägt das Minutenrohr, auf dem der Minutenzeiger sitzt, und ist deswegen meist im Zentrum des Uhrwerks platziert.

 

Schrauben: Winziger geh´s kaum - mit zwei Millimeter Länge in diesem Metier schon ein echte Riese. In manchen Uhren werden Schrauben von der Größe eines Sandkornes verbaut. (tst)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  

 

Fliegende Tourbillons und Erdbeerkuchen

Laien, Freaks und Profis basteln ein Wochenende lang ihr persönliches Kunstwerk in der Uhrmacherwerkstatt
Von unserer Redakteurin Tatjana Stegmann

Jetzt bloß noch die Unruh einsetzen, das Uhrwerk ins Gehäuse legen, die letzten Schräubchen, jedes etwas so groß wie ein Stecknadelkopf, rein und die Aufzugswelle einschieben.
Die Stille der Werkstatt wird nur gestört von einem dezenten Glockenton aus einer alten Wanduhr, sonst herrscht gespanntes Schweigen. Absolute Konzentration ist nötig: Jetzt bloß nicht zum Schluss noch mit dem Schraubendreherchen abrutschen und die mühsam geschliffenen und vergoldeten Brücken des Uhrwerks mit hässlichen Kratzern verunzieren. Fast ist sie fertig - und sie tickt tatsächlich richtig!
Noch vor drei Tagen schien es mir völlig unvorstellbar, dass eine Uhr bestehend aus nicht weniger aus 48 Einzelteilen, von einem Laien wie mir erst zerlegt, dann gereinigt und wieder zusammengesetzt werden sollte - und vor allem, dass am Ende die Unruhe wie von Geisterhand getrieben anlaufen würde. Ganz zu schweigen davon, dass die Veredelung winzigster Einzelteile mit feinsten Schliffen und Vergoldungen gelingen könnte.

Unscheinbar, beinahe übersehbar, so hängt das Uhrmacherschild an einer historischen Fassade. Stumm weist es den Weg in der Hauptstraße des Mannheimer Stadtteils Seckenheim hin zu einem kleinen Laden, einem Antiquitätengeschäft, in dessen Schaufenster vier Stühle aus einer anderen Zeit (sich scheinbar ihres Wertes bewusst) geduldig auf neue Besitzer warten. Hier also soll das Uhrenseminar der Firma Lottermann und Söhne stattfinden. Bestimmt werden nur echte Uhrenfreaks, eingeschworene Sammler und Bastler, das Seminar besuchen. Plötzlich taucht es wieder auf in meiner Vorstellung, der Hofuhrmacher Christian Elias Drosselmeier, der geheimnisvoll verschrobene Mensch aus E.T.A. Hofmanns Erzählung "Nussknacker und Mausekönig", und auch all die anderen Klischees, die sich über das Uhrmacherhandwerk und die Menschen, die es ausüben, im Unterbewusstsein festgesetzt haben, sind plötzlich wieder präsent.
Die Glastür zum Laden ist verschlossen an diesem Samstagmorgen, das weit geöffnete Hoftor daneben lädt aber zum Eintreten ein. An einem Holztisch sitzen vier Männer, fröhlich erzählend, aber zumindest drei davon mit einem erwartungsvollen Funkeln in den Augen. Ralf Lottermann, Tischlermeister und Restaurator, hat die ersten Seminarteilnehmer mit einem Kaffee schon mal willkommen geheißen, greift seinem Bruder Till, dem Uhrmacher, aber nichts voraus, verrät nicht zuviel von dem, was in den nächsten Stunden passieren wird. Soviel lässt sich dem Gespräch aber leicht entnehmen: Die drei anderen Männer mittleren Alters am Tisch tun sich nicht schwer mit Fachsimpeleien. "Chronometer" hier "Pendulen" da, ETA-Werk" und "Finissage" dort. In meinem Schädel schwirren Begriffe und so langsam weicht die erwartungsvolle Gelassenheit nun doch aufsteigenden Bedenken, ob meine feinmotorischen Fähigkeiten und mein im Redaktionsalltag eher verkümmertes naturwissenschaftlich-technisches Verständnis wohl ausreichen werden, um in den kommenden zwei Tagen Schritt halten zu können.

Nicht lange haben die Zweifel Zeit, die Handflächen feucht und die Finger zittrig werden zu lassen: Till Lottermann taucht auf, und kurz darauf geht es die Treppe einer alten Scheune hinauf, ehrfurchtsvoll vorbei an einer reich verzierten, etwa zwei Meter hohen hölzernen Uhr, hinein in die Werkstatt. Zehn Tische, deren Arbeitsplatte einem Sitzenden knapp zur Schulter reichen, füllen den eher schummrigen Raum zu einem Drittel, darauf Schreibtischlampen, allerlei Werkzeug. Nur Armbanduhren sind noch nicht zu entdecken... Geduld - wesentliche Voraussetzung zum Uhrenbau - üben die neugierigen Seminarteilnehmer so ganz nebenbei. Denn bevor es mit der Schrauberei losgehen kann, muss ein bisschen Theorie schon sein. Die Vorstellungsrunde - alle sind gleich per Du - macht die Hoffnung auf einen noch weniger qualifizierten Laien völlig zunichte: Wolfgang aus Mutterstadt ist passionierter Uhrenfan, Fouad aus Darmstadt Zahntechniker und Maschinenbauer, Ulrich aus Alzenau Ingenieur und Willi aus Weinheim Uhrmacher (er hat die Teilnahme an dem Kurs bei einer Messe gewonnen).

Schnell wirft moderne Powerpoint-Technik übersichtliche technische Zeichnungen an die alte Scheunenwand, und allmählich lüftet sich auch mir das Geheimnis einer mechanischen Uhr, nachdem der Uhrmachermeister und sein Kollege, Franz Wolff, betont haben, dass es ihnen ganz besonders darum geht, auch Hobbybastlern und interessierten Laien einen Einblick in ihr jahrhundertealtes Handwerk zu gewähren und somit deren Blick für Qualität zu schulen - der Geschäftsmann denkt voraus.

Richtig ernst wird es kurz darauf, als die beiden Uhrmachermeister ihren Gästen die Uhren austeilen: jedem die eigene, leicht zu erkennen am versilberten, im Licht changierenden Zifferblatt, auf das in eleganten Lettern der jeweilige Name gedruckt ist. "Nehmt jetzt bitte mal die Lünette ab" Lünette? Der Begriff taucht eben doch nicht im theoretischen Vortrag auf, was in aller Welt soll das sein?. Die schüchterne Zwischenfrage quittieren die anderen Seminarteilnehmer mit einem wohlwollenden, kein bisschen überheblichen Lächeln, und der Meister merkt schnell, dass es solche und solche Laien gibt. Macht aber nichts, Begriffe sind schnell geklärt, das Abdeckglas überm Zifferblatt zügig abgeschraubt - am Ende zählt schließlich nur noch, wem die Feinmotorik die wenigsten Streiche spielt....
"Wir geben erst mal an die Zeitwaage". Zeit wiegen? Der physikalisch absurde Begriff bezeichnet nichts anderes als ein Gerät, das die akustischen Äußerungen des Uhrwerkes auf einen Streifen Papier bannt. Mit Hilfe seiner Aufzeichnung kann man die Ganggenauigkeit der Uhr in diversen Positionen kontrollieren. Das aus Russland stammende Molnja-Uhrwerk, das Lottermann und Wolff eigens wegen seiner besonderen Eigenschaften (Übersichtlichkeit und Robustheit) ausgesucht haben, läuft wie am Schnürchen und bringt ein sehr gutes Ergebnis. "ich garantiere euch, dass es nach dem Reinigen und Veredeln morgen mindestens genau so exakt gehen wird "Till Lottermanns Versprechen erntet fünffaches Stirnrunzeln.

Unsicher, einen Trick zu vorsichtig, wagt sich mein Schraubenzieher an die Schräubchen, die das Uhrwerk im Edelgehäuse halten - es sind die beiden größten Schrauben im Werk...
Von Mal zu Mal findet der Schraubenzieher besser seinen Weg, nur die wie ein Zwicker vors Auge geklemmte Lupe will einfach nicht dort bleiben, wo sie hingehört. Die Messingpinzette greift Rädchen und Befestigungsbrücken, Federn und Kolben - Lottermanns ruhige Stimme im Hintergrund führt Regie. Am Ende liegen unter einer Art Käseglocke 48 Einzelteile eines winziger als das andere, und kein einziges scheint verloren gegangen zu sein.
"So jetzt baut ihr alles in der umgekehrten Reihenfolge wieder ein," Na denn, Aufwärmtraining Teil zwei, aber wie war noch die Reihenfolge genau?. Wider Erwarten ist das Rohwerk binneneiner Viertelstunde wieder in seinem Ursprungszustand, und vor einer kleinen Pause sammeln sich die staunenden Seminarteilnehmer um eine schlichte Tischuhr mit Glasgehäuse.
Schön anzusehen ist sie schon, aber das sind die anderen Uhren, die im Atelier hängen und stehen, eigentlich auch. Irgendetwas scheint sie zu etwas Besonderem zu machen. Ehrfürchtig fällt das Wort "Tourbillon", "fliegend" zudem, ein "Luftwirbel" oder "Strudel" also, wenn die Französisch-Kenntnuisse nicht versagen. Aber was in aller Welt macht ein fliegender Strudel in einer Uhr? Lottermann erklärt: Vor etwa 200 Jahren erfand abraham-Louis Breguet dieses besondere Form der so genannten Hemmung (die Hemmung reguliert zusammen mit der Unruh den zeitgerechten Lauf der Uhr). Und ein Tourbillon stellt in seiner Fertigung Uhrmacher ganz offensichtlich vor schier unermessliche Schwierigkeiten und bleibt wegen seiner Komplexität eine echte Rarität.
Aber Lottermann setzt noch eins drauf: Aus einer rotbraunen Holzschatulle strahlt in perfekter Ästhetik eine goldene Armbanduhr: Gerade hat er sie fertig bekommen, nachdem er allein für das winzige Tourbillon im Innern der Kostbarkeit 900 Arbeitsstunden aufgewendet hat. Fasziniert und fast schweigend geht´s die Treppen der alten Tabakscheune hinunter, wo in einem gemütlichen Raum den optischen Genüssen der Uhrmacherzunft die kulinarischen in Form eines frischen Erdbeerkuchens folgen. Gelöst plaudern die Uhrenbastler über ihre ersten Eindrücke in lockerer, freundlicher Atmosphäre. Sprach mal jemand über Uhrenfans von verschrobenen, einzelgängerischen Kauzen, die verbissen mit zusammengekniffenen Augen an Mechaniken herumfieseln

Handwerkliches Geschick und Fingerspitzengefühl ist keine halbe Stunde später wieder gefragt, denn zurück im Atelier sollen die Brücken des Uhrwerks auf einer Glasplatte mittels einer Schleifpaste aus Pulver und Öl exakt plan geschliffen werden. Das geht nur, wenn man auch wirklich gleichmäßigen Druck ausübt. Bald glänzen die Stücke um die Wette. Kaum ist der Schleifdreck herunter gewaschen, wartet bereits der nächste Arbeitsgang: Das Los wies meiner Uhr die Seriennummer 130 zu. Die wiederum muss mit einer Maschine eingraviert werden. Damit der Feinheiten aber noch nicht genug: Mit Hilfe einer eigens konstruierten Schleifvorrichtung werden die Brücken noch mit so genannten Genfer Streifen verziert, damit die anschließende Vergoldung per Elektrolyse richtig zu Geltung kommt. Weiter mit den Finessen: Die zwar vom Hersteller schon vorgebläuten Schrauben genügen den Ansprüchen der Uhrmachermeister nicht. Also: Schleiföl anrühren und runter mit der obersten Schicht, mit Diamantpaste noch penibel polieren und per Heißluftpistole neu bläuen. Die Oxidation des heißen Stahls hat ihre ganz eigene Geschwindigkeit: Schrittweise verfärben sich die Schrauben von violett bis kornblumenblau.
Schon fast routiniert fügen die Finger - zum Schutz der veredelten Teile sicher versteckt in Latex-Fingerlingen - noch ein einziges Mal die Einzelteile zusammen: Aufzug samt Federgehäuse und Kupplungsrädchen, Minuten- und Sekundenrad, Hemmung und die Unruh mit der hauchdünnen Feder - alles gelagert in winzigen perfekt geschliffenen Rubinen. Am Ende liegt auf dem Uhrmachertisch ein persönliches Kunstwerk, dessen pekuniärer Wert sich innerhalb der vergangenen beiden Tage mehr als verdoppelt hat, dessen ideeller Wert jedoch mit keiner von Menschen konstruierten Waage messbar ist. (Fotos: Kunz (2) / Thiele (1))

 

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Lottermann & Söhne


Eine gute Adresse, wenn es um das Restaurieren von Möbeln & Uhren geht

Volle Konzentration

Volle Konzentration
bei den Seminarteilnehmern:
Tatjana Stegmann beim Uhrenteile - Sortieren.

-FOTOS: THIELE

Zum Gravieren

Zum Gravieren der persönlichen Serien- nummer bedarf es nicht nur einer speziellen Maschine & Schablonen, sondern vor allem eines: Fingerspitzengefühl. 

Genfer Streifen

Perfektes Feingefühl ist auch beim Einschleifen der Genfer Streifen auf die Brücken nötig: Wer ungleichmäßigen Druck auf den Schleißbock ausübt, erzielt höchstens ein eher interessantes denn ebenmäßiges Schleifergebnis
Zeitwaage


Ticken alle richtig ? Uhrenspezialist Franz Wolff (vorne) legt die Uhren ein letztes Mal auf die Zeitwaage
Bläuen

Bläuen der Brücken- schrauben nach dem Schwarz-Polieren: Eigentlich ganz einfach, aber der Teufel steckt im Detail
 
      © RheinPfalz 2004